Wir haben uns dafür entschieden keine Siegel für unseren Kaffee zu verwenden. Dafür gibt es verschiedene Gründe, die manchmal nicht so einfach zu erklären sind.
Denn viele Menschen, die beim Kauf auf bestimmte Kriterien achten wollen, orientieren sich an Siegeln. Ein Produkt ohne Siegel ist vermeintlich automatisch schlechter, weniger nachhaltig, weniger fair. Das das nicht der Fall ist, möchten wir mit unserem Kaffee beweisen 🙂
Wir nutzen kein Siegel – das heißt nicht, dass wir Siegel grundsätzlich schlecht finden
Der Ansatz an sich ist gut, denn Siegel sollen ja Produkte ausweisen, die in bestimmten Aspekten besser produziert werden als konventionelle Produkte. Sie sind also zum Beispiel ökologischer produziert, es wird auf das Tierwohl geachtet oder auf faire Arbeitsbedingungen. Je nachdem können Siegel sehr hohe Kriterien ansetzen oder eher niedrige. Das Einführen eines Siegels ist eigentlich das Zugeständnis, dass die derzeitige Art des Produzierens und Handels nicht nachhaltig ist und so nicht weitergehen sollte. Das können wir unterschreiben und deshalb ist die Idee eines Siegels erstmal eine gute Sache.
Unüberschaubarer Siegelwald
Es gibt allerdings sehr viele Siegel. In Deutschland sind das inzwischen über 1000. Sehr viele beziehen sich auf den Lebensmittelhandel, es gibt aber auch vielfältige Siegel für Kleidung, technische Geräte, Papier und vieles mehr.
Die Vielzahl der Siegel macht es quasi unmöglich, alle zu kennen und einen Überblick zu behalten. Die wenigsten werden mehr als eine Handvoll Siegel kennen geschweige denn die Kriterien dahinter.
Keine Einheitlichkeit, keine Kontrolle
Viele Begriffe sind auch nicht geschützt, wie z.b. bio, fair, nachhaltig. Diese Begriffe können also frei genutzt werden und was sich genau jeweils dahinter verbirgt, muss ich als Kund*in dann auf der Verpackung oder gegebenenfalls auf einer Homepage nachlesen – das machen die meisten ehrlicherweise wahrscheinlich nicht und so können viele Marken/Supermärkte vom Ruf dieser Begriffe profitieren, ohne unbedingt die Kriterien zu erfüllen (also z.b. beim Begriff bio denken die meisten dann an das EU-Biosiegel und haben dazu vielleicht ungefähr im Kopf was es bedeutet und vermuten dann bei dem Begriff bio auch ein nach ähnlichen Kriterien produziertes Produkt)
Es gibt auch keine zentrale Stelle, die das Einhalten der Siegel überprüft. Die Bundesregierung hat zwar inzwischen eine Onlineplattform, um Siegel zu vergleichen und es einfacher zu machen, die Erfüllung der Kriterien zu überblicken, aber die Plattform ist nicht vollständig und vermutlich auch nicht besonders bekannt.
Für und Wider des Fair Trade -Siegels
Konkret für unseren Kaffee würden als Siegel vor Allem das EU-Biosiegel und das FairTrade-Siegel in Betracht kommen.
Viele der Kriterien für das FairTrade-Siegel stimmen mit unseren Prinzipien überein, wie z.B. eine angemessene Bezahlung oder die Organisierung in demokratischen Strukturen der Anbauenden. Allerdings fallen für die Produzent*innen Gebühren für die Zertifizierung als FairTrade-Betrieb an; Dafür kann der Kaffee danach zu Preisen über Weltmarktniveau verkauft werden. Diese Gebühren sind allerdings hoch, er liegt oft bei mehreren hundert Dollar. Vor Allem bei den allerkleinsten Betrieben, die nur knapp am Existenzminimum wirtschaften, ist kein Geld für derlei Investitionen übrig. Denn das Geld für die Zertifizierung muss bezahlt werden, lange bevor man dann den Kaffee zu Fairtrade-Preisen verkaufen und damit höhere Einnahmen generieren kann. So werden dann eher größere Betriebe gefördert, die sich diese Investition leisten können. Zusätzlich zu den Zertifizierungskosten für den Betrieb, fällt auch eine Gebühr pro Kilo Kaffee an, den man nach FairTrade-Standards produziert.
Außerdem gibt es keine Abnahmegarantie; Man hat durch die Zertifizierung zwar die Möglichkeit, den Kaffee zu höheren Preisen zu verkaufen, es ist aber dadurch nicht automatisch gesichert, dass dann auch jemand kommt und zu dem Preis kauft. Wenn es schlecht läuft, hat man den Kaffee zertifiziert und somit höhere Produktionspreise pro Kilo Kaffee und kann den Kaffee dann trotzdem nur zum Weltmarktpreis verkaufen. So kann im schlechtesten Fall FairTrade-Zertifizierung sogar eine Armutsfalle sein, wenn man z.B. einen Kredit aufgenommen hat um die Zertifizierung zu bezahlen und dann das Geld nicht reinkommt.
Problematische Koppelgeschäfte im Kaffeehandel
In den letzten Jahren hat sich außerdem leider eine problematische Praxis etabliert, die sogenannten Koppelgeschäfte, auf spanisch „combos“. Hierbei bieten große Händler*innen den Anbauenden an einen Teil x des FairTrade-zertifizierten Kaffee zu FairTrade-Preisen abzunehmen, dafür bekommen sie aber einen anderen Teil y zu einem deutlich niedrigeren Preis. Im Durchschnitt verdienen die Anbauenden dann pro Kilo Kaffee also deutlich unter dem FairTrade-Niveau. Diese Praxis ist möglich, weil die Nachfrage für Fairtrade-Kaffee nicht hoch genug ist und die Anbauenden nicht sicher sein können, ihren zertifizierten Kaffee auch verkaufen zu können. Sie lassen sich dann vielleicht lieber auf dieses schlechte Koppelgeschäft ein, als am Ende vielleicht gar keinen Kaffee zu hohen Preisen verkaufen zu können.
Umstellungsprozess auf bio ist langwierig
Ähnliches gilt für das Bio-Siegel. Die Kaffeeproduzent*innen müssen Gebühren bezahlen um sich als Biokaffeebetrieb zertifizieren zu lassen; ob sie den Kaffee dann wirklich zu höheren Preisen verkaufen können, ist vorher nicht klar. Bei bio dauert es drei Jahre, bis man den Zertifizierungsprozess durchlaufen hat, solange bekommt man noch den konventionellen Preis für den Kaffee. Wenn man vorher konventionell produziert hat, sinkt meist erstmal die Produktionsmenge. Diesen Verdienstausfall über die Zeit, bis der Kaffee zertifiziert ist und den höheren Preis erhält, muss man sich leisten können bzw. sehr kleine Betriebe ohne Rücklagen sind davon quasi ausgeschlossen. Deshalb haben wir uns dafür entschieden, für den sogenannten Umstellungskaffee, also die Übergangsszeit der drei Jahre, auch schon höhere Preise zu zahlen, um den Bio-Zertifizierungsprozess für mehr Kaffeebäuer*innen zugänglich zu machen.
Welche Siegel für ihren Kaffee in Betracht kommen, müssen aber auch die Anbauenden selbst erstmal entscheiden und abwägen, denn die meisten Siegel sind dann nur regional nutzbar z.B. gilt das EU-Biosiegel nicht in den USA etc. Man muss also langfristig einschätzen, was sich lohnt und wo man den Kaffee absetzen wird – sehr schwierig, gerade für kleine Betriebe.
Machtkonzentration bei den Supermarktketten
Ein weitere Punkt ist, dass es seit einiger Zeit FairTrade-Produkte in so gut wie allen großen Supermärkten gibt. Die Produkte sollen so mehr Menschen zugänglich gemacht werden und durch größeren Absatz auch den Anbauenden helfen, weil sie ja dann mehr Produkte zu guten Preisen verkaufen können.
Entstanden ist FairTrade eigentlich aus direkten Handelsbeziehungen, bei denen Menschen hier, meist in Ehrenamtsarbeit, Produkte direkt kaufen um soziale Bewegungen zu unterstützen (also sehr ähnlich zu unserem Ansatz). Diese Produkte wurden dann in kleinen Läden wie z.B. Eine-Welt-Läden verkauft. Wer hier einkauft, kann meist mit Menschen sprechen, die direkt an dem Handel mit den Produkten beteiligt sind und persönliche und politische Motivationen haben, die Produkte hier zu guten Preisen zu verkaufen. Wo also zu Anfang des FairTrade noch eine relativ direkte Beziehung zwischen Produzent*innen und Konsument*innen möglich war, ist das bei Fair Trade- Produkten im Supermarkt komplett entkoppelt. Es wir dadurch intransparenter und weniger emotional. Wenn ich als Konsument*innen nichts über die Produzent*innen weiß und keinen Bezug zu ihnen habe, habe ich vielleicht aber auch weniger Verständnis, wenn die Produktionskosten und damit auch die Preise steigen.
Kleine Läden mit Ansätzen von direkten Handelsbeziehungen verlieren außerdem dadurch ihre Absatzmärkte, denn es gibt quasi keinen Grund mehr, dort einzukaufen, wenn man vermeintlich auch genauso faire Produkte im Supermarkt bekommt.
Greenwashing
Nicht beachtet bei der FairTrade–Zertifizierung wird der Teil der Handelskette, der in Deutschland passiert. Ein Supermarkt, der fair produzierte Produkte verkauft, kann schlechte Arbeitsbedingungen für seine Angestellte haben; Die Zwischenhändler*innen, Ausliefer*innen, Hafenarbeiter*innen etc. die auch an der Lieferkette beteiligt sind, werden bei der Produktzertifizierung nicht beachtet. Supermärkte können trotzdem vom guten Image des FairTrade-Labels profitieren und werde von den Konsument*innen vermutlich als fairer, nachhaltiger etc. angesehen und können so ihren Absatz steigern.
Koloniale Kontinuitäten
Trotz guter Ansätze werden zentrale Problematiken des Welthandels auch durch FairTrade nicht aufgelöst; Welche Standards für FairTrade-Betriebe gelten wird mehrheitlich im globalen Norden entschieden, Menschen im globalen Süden müssen diesen Vorgaben folgen, wenn sie an den Geschäften beteiligt werden wollen. So werden koloniale Kontinuitäten nicht aufgelöst sondern bestehen weiter. Es bleibt auch weiterhin ein Großteil des erwirtschafteten Geldes in den Absatzländern. Verschiedene Zwischenhändler*innen und auch das zertifizierende Unternehmen verdienen an den Produkten mit und nur ein kleiner Teil des Geldes kommt bei den Produzent*innen an.
Wir versuchen es anders
Es sprechen also, trotz der guten Grundidee, viele Dinge gegen das Benutzen von Siegeln. Wir nutzen deshalb keine Art von Siegeln für unseren Kaffee obwohl er die meisten Kriterien der gängigen Siegel erfüllen würde.
Wir stehen in direktem Kontakt mit den Anbauenden und handeln alle Bedingungen des Kaufs gemeinsam aus. Durch die direkte Kommunikation können wir gemeinsam auf geänderte Situationen und Herausforderungen reagieren.
Unsere große Aufgabe hier vor Ort ist es dann, den Konsument*innen auch ohne Siegel die Informationen über den Kaffee und die Anbauenden zugänglich zu machen. Deshalb verstehen wir die Öffentlichkeitsarbeit als einen sehr wichtigen Teil unserer Arbeit.
Quellen und Links
https://www.coffeecircle.com/de/e/fair-trade-kritik
https://www.coffeecircle.com/de/b/bio-siegel-kaffee
https://www.coffeecircle.com/de/b/fairtrade-enttaeuschung
https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/kaffee-barometer-nachhaltigkeit-ungleichheit-100.html
https://www.cafe-libertad.de/kritik-und-grenzen-des-fairen-handels
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